„Brauerei-Nebenströme werden in Zukunft zu Hauptströmen“

Sinkender Bierkonsum, steigende Braukosten, vielfältige Herausforderungen. Eine Brauerei zu betreiben, macht aktuell nicht besonders viel Spaß. Genau an dieser Stelle hört dieser Artikel allerdings auf mit dem Gejammer. Optimismus ist angesagt. Wie kann Wertschöpfung für Brauereien in Zukunft aussehen und Spaß machen? Die gute Nachricht: spannende Ansätze und neue Ideen genau zu diesem Thema gibt es bereits. Die Pilotanlagen laufen. Werfen wir einen Blick auf die Zukunft der Brauereien.

Veröffentlicht am 05/12/2025

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Ein Beitrag von

Lucia Baier

Content Managerin

YONTEX GmbH & Co. KG

Präzisionsfermentation, Mikroorganismen und Nebenströme machen Brauereien zukunftsfähig


Wasserkefir, Lupinenlimo & Co. – Die Brauerei als Variationsplattform

„Brauer können (fast) alles, sie sind Bioverfahrenstechniker und Fermentationstechnologen“, betonte Prof. Dr.-Ing. Thomas Becker, TU München, auf dem 1. Weihenstephaner Unternehmertag der TUM Venture Labs Mitte Oktober. Er rief dazu auf, diese Fähigkeiten voll auszuschöpfen und mutiger und experimentierfreudiger zu werden.

Was meint er damit? Genauer hinschauen zum Beispiel. Beim Brauen sind 17 verschiedene Enzyme im Spiel. Die Brauer kümmern sich allerdings fast ausschließlich um Alpha- und Beta-Amylase und um die Maltose. Höchste Zeit einmal weitere Enzymspezifitäten zu betrachten und das darin versteckte Potenzial zu entdecken.

Oder über den Teller- bzw. Glasrand blicken. Die zweite Empfehlung von Prof. Becker: „Setzen Sie nicht nur auf ein Getränk, sondern schaffen Sie sich einen Variationsplattform.“ Wasserkefir, Lupinenlimonade oder Algendrinks sind nur einige Getränkeinnovationen aus dem BGT in Weihenstephan, die zeigen, wie vielfältig die Getränkeherstellung wird, wenn man sich an alternative Hefen oder andere Mikroorganismen heranwagt. Das geht alles mit den bestehenden Anlagen einer Brauerei.

Allein gelassen werden die Brauereien dabei nicht. Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen oder Partnern aus der Zulieferindustrie bieten die Möglichkeit neue Projekte zu starten und die Variationsbreite der Getränkeherstellung in Brauereien auszuschöpfen.

Brauerei-Nebenströme in die Wertschöpfung bringen

„Brauereien-Nebenströme werden in Zukunft zu Hauptströmen“, so Jürgen Nordmann, Brauereichef der Störtebeker Braumanufaktur aus Stralsund. Aus dieser Überzeugung heraus hat die Brauerei das Malt Fungi Projekt initiiert. Worum geht es dabei? Biertreber wird in einem Bioreaktor mit einem Pilz versetzt, mittels Submersfermentation (Fermentation in flüssigem Medium) entstehen dadurch wertvolle Proteine – die im Treber enthaltenen Proteine werden durch die Fermentation zu Pilzbiomasse aufgewertet. Diese Biomasse kann dann (nach EFSA-Anmeldung) zu Fleischersatzprodukten veredelt werden. In Kooperation mit Prof. Dr. Holger Zorn von der Justus-Liebig Universität Gießen, Prof. Dr. Leif-Alexander Garbe von der Hochschule Neubrandenburg und weiteren Partnern, ist aus einer anfangs belächelten Idee ein höchst spannendes Projekt gewachsen.

Mittlerweile steht eine Pilotanlage auf dem Brauereihof in Stralsund, ein Patent ist eingetragen und die Proteine wurden in Rostock zu einem Lebensmittelprototypen (in Bratwürsten) verarbeitet. Die Firmenausgründung Eat Beer Biotech GmbH arbeitet nun daran, aus der Pilotanlage eine modulare Containerlösung zu einwickeln, die perspektivisch bei vielen Brauereien auf dem Hof stehen könnte.

Dezentrale Produktion ist hier das Stichwort, denn Treber ist leicht verderblich. Vor dieser Herausforderung steht auch das Startup Circular Grain, das von Studierenden der TU München gegründet wurde. Circular Grain hat den Treber ebenfalls als hervorragenden Rohstoff erkannt und stellt daraus in einem eigens entwickelten Verfahren eine Milchalternative her. Die Trebermilch kann es geschmacklich und auch von den Inhaltsstoffen mit Hafer- oder Sojamilch aufnehmen Und außerdem damit werben, dass sie die Gerste bzw. das Malz in einen zweiten Wertschöpfungsprozess einbringt.

Bei Brauereien fällt nicht nur Treber an, sondern auch Ethanol aus der Entalkoholisierung oder CO2 und Hefe. Zahlreiche Brauerei-Nebenströme warten also nur darauf, von findigen Bioverfahrenstechnikern zu neuen Produkten gemacht zu werden.

Präzisionsfermentation eröffnet völlig neue Wertschöpfungsketten

Die Produktvielfalt, die in einer Brauerei hergestellt werden kann, ist breit. Noch breiter wird sie, wenn man tiefer in das Thema Präzisionsfermentation einsteigt. Präzisionsfermentation ist ein Verfahren zur Herstellung von Proteinen ohne den Einsatz von Tieren. Dazu wird eine DNA-Sequenz in einen Mikroorganismus, zum Beispiel eine Hefe oder einen Pilz, eingebracht, der das Zielprotein bildet. In einem Bioreaktor, einem Hightech-Edelstahltank, wachsen die Organismen dann unter kontrollierten Bedingungen sehr schnell, anschließend werden die Zielproteine isoliert und weiterverarbeitet.

Auf dem Markt gibt es bereits Schokolade mit Zuckerersatz aus Protein Sweetener und Milch-Proteine aus dem Fermenter, Kaffee-Getränke ohne Kaffeebohnen und erste Ansätze von kultiviertem Fleisch. Die USA und asiatische Staaten sind hier bei der Entwicklung schon einen Schritt weiter, aber Tatjana Krampitz, Head of Technology Management New Food bei GEA, ist sich sicher, dass das die Zukunft ist, auch in Europa. Sie und ihr Team betreuen bei GEA eine Pilotanlage, in der Bioreaktoren und die dazugehörige Prozesstechnik stehen. Sie ermöglicht Unternehmen, im kleinen Maßstab zu testen, ob ihre Produktideen technisch funktionieren – den sogenannten Proof of Concept. Ziel ist es, mit Hilfe dieser Technologie „mehr Menschen, mit weniger Ressourcen zu ernähren“, so Krampitz.

Die EU arbeitet an einer Proteinstrategie, die Niederlande haben bereits eine. Das Thema nimmt gerade an Fahrt auf. Höchste Zeit, sich auf die Proteinwende vorzubereiten.

In Zukunft werden Brauereien also vielleicht neben Bier auch Milchproteine herstellen, Algen züchten oder Vitamine und Mineralstoffe für Nahrungsergänzungsmittel erzeugen. Zugegeben, es braucht aktuell noch etwas Fantasie und v.a. mutige Unternehmer, die diesen Schritt in die Zukunft wagen. Diese Perspektiven stimmen aber heute schon optimistisch für die Zukunft der Braubranche.